PRESSESPIEGEL

 


Tagesspiegel NR. 16657 VOM 08.04.1999 SEITE 013

 

Berlin

 

Ein Sonnenspiegel vertreibt die Hinterhof-Depression.

Wer die dunkle Häuserwand direkt vor dem eigenen Fenster nicht mehr erträgt, kann jetzt auf eine natürliche Erleuchtung hoffen.

VON THOMAS LOY

 

MITTE. Christoph Keller steht auf roten Zinnen über den Häuserschluchten der Spandauer Vorstadt. Mit einem Spiegel fängt er das Sonnenlicht ein, bricht es an seinem Oberkörper und lenkt es in einen dunklen Krater hinein, einen zwanzig mal fünf Meter engen Berliner Hinterhof in der Auguststraße 91. Der schlaksige Riese Keller mit den ins Gesicht sprießenden Haaren simuliert das Grundprinzip einer Erfindung zur psychosozialen Befreiung des Berliner Arbeiters. Zwar kommt Sonnenspiegel "Helioflex" rund hundert Jahre zu spät, aber Christoph Keller kann mit seinen 31 Jahren schließlich nichts dafür, daß vor ihm niemand drauf gekommen ist.

 

Helioflex funktioniert einleuchtend einfach: Auf eine handelsübliche Satelliten-Schüssel wird eine verspiegelte Plexiglasscheibe montiert, die sich mit vier Flügelschrauben in die gewünschte Krümmung zwingen läßt. Ein Sensor-Auge dreht die Konstruktion immer wieder in den richtigen Winkel zwischen Sonne und Hinterhof. Je nach Größe des Spiegels entsteht ein ovales Strahlenbündel, das die Galerie im Erdgeschoß zwar nicht gerade in gleißendes Licht taucht, aber zum Aufhellen der Stimmung reicht schließlich schon ein kleiner Sonnenfleck.

 

Christoph Keller ist Konzept-Künstler und kein Geschäftsmann. Mit seiner inzwischen patenierten Erfindung will er nicht das große Geld machen, sondern "das soziale Gefälle zwischen Licht und Schatten" nivellieren. Die "architektonische Logik", daß nur die Begüterten einen Platz an der Sonne haben können, soll außer Kraft gesetzt werden. Die Medizin habe längst nachgewiesen, wie wichtig Licht für die psychische Stabilität und das Wohlbefinden eines Menschen sei, erklärt Keller. Mit Helioflex ließe sich etwa das "Arbeitslosensyndrom" - Lustlosigkeit und ständiges Schlafbedürfnis - bekämpfen. Die wissenschaftliche Fundierung seiner Erfindung ist ihm wichtig. "Das hat nichts mit Esoterik zu tun."

 

Die Sat-Schüssel ist für Keller nicht nur günstiges Bauelement, sondern eine "ästhetische Parallele" zum Sonnenspiegel. "Beide Konstruktionen schaffen eine Verbindung nach außen. Das Kerkergefühl geht weg." Keller möchte, daß sich auch Sozialhilfeempfänger seinen Sonnenspiegel leisten können. Im Baumarkt sollte das Gerät als Selbstbausatz für wenige hundert Mark zu haben sein.

 

Bis dahin ist noch ein weiter Weg. Auf dem Dach der Auguststraße 91 steht bisher nur ein Prototyp. Mit Hilfe von Studenten der TU werden noch in diesem Jahr vier weitere Spiegel installiert, einer davon soll in einem sanierten Altbau in der Kastanienallee 77 in Prenzlauer Berg Sonnenstrahlen durch vier Stockwerke schicken. Seit ein paar Wochen erreichen Keller regelmäßig SOS-Briefe von verschatteten Hausbewohnern. Für einen Flächenversuch mit hundert Spiegeln im Rahmen der Expo 2000 verhandelt der Erfinder derzeit mit der Senatsverwaltung. Insgesamt 150000 Standorte sind in Berlin nach seinen Angaben sonnenspiegeltauglich.

 

Mit Marketing und Produktion möchte Keller allerdings nichts mehr zu tun haben. Um sich wieder stärker seinen künstlerischen Projekten widmen zu können, sucht er dringend nach einem Träger. "Das ist ein soziales und städtebauliches Projekt. Damit könnten sich doch Politiker hervorragend schmücken."

 

DIE SONNE bringt gute Laune in den tiefsten Hinterhof - wenn auf dem Dach ein Spiegel von Christoph Keller montiert ist: der Erfinder auf dem Haus Auguststraþe 91. Foto: Uwe Steinert

 

WER HIER DEPRESSIONEN BEKOMMT, braucht sich nicht zu wundern. So düster, so trist - hier kann ein Sonnenspiegel helfen. Foto: Peter Homann/Gegendruck

 

 

Autor: Loy

Person(en): Keller, Christoph

Deskriptor: Künstler

 

Datenbank TSP

Dokumentennummer: 049908111

Tagesspiegel NR. 16657 VOM 08.04.1999 SEITE 013

 

Berlin

 

Ein Sonnenspiegel vertreibt die Hinterhof-Depression. Wer die dunkle Huserwand direkt vor dem eigenen Fenster nicht mehr ertrgt, kann jetzt auf eine nat¸rliche Erleuchtung hoffen.

 

VON THOMAS LOY

 

MITTE. Christoph Keller steht auf roten Zinnen ¸ber den Huserschluchten der Spandauer Vorstadt. Mit einem Spiegel fngt er das Sonnenlicht ein, bricht es an seinem Oberkrper und lenkt es in einen dunklen Krater hinein, einen zwanzig mal f¸nf Meter engen Berliner Hinterhof in der Auguststraþe 91. Der schlaksige Riese Keller mit den ins Gesicht sprieþenden Haaren simuliert das Grundprinzip einer Erfindung zur psychosozialen Befreiung des Berliner Arbeiters. Zwar kommt Sonnenspiegel "Helioflex" rund hundert Jahre zu spt, aber Christoph Keller kann mit seinen 31 Jahren schlieþlich nichts daf¸r, daþ vor ihm niemand drauf gekommen ist.

 

Helioflex funktioniert einleuchtend einfach: Auf eine handels¸bliche Satelliten-Sch¸ssel wird eine verspiegelte Plexiglasscheibe montiert, die sich mit vier Fl¸gelschrauben in die gew¸nschte Kr¸mmung zwingen lþt. Ein Sensor-Auge dreht die Konstruktion immer wieder in den richtigen Winkel zwischen Sonne und Hinterhof. Je nach Grþe des Spiegels entsteht ein ovales Strahlenb¸ndel, das die Galerie im Erdgeschoþ zwar nicht gerade in gleiþendes Licht taucht, aber zum Aufhellen der Stimmung reicht schlieþlich schon ein kleiner Sonnenfleck.

 

Christoph Keller ist Konzept-K¸nstler und kein Geschftsmann. Mit seiner inzwischen patenierten Erfindung will er nicht das groþe Geld machen, sondern "das soziale Geflle zwischen Licht und Schatten" nivellieren. Die "architektonische Logik", daþ nur die Beg¸terten einen Platz an der Sonne haben knnen, soll auþer Kraft gesetzt werden. Die Medizin habe lngst nachgewiesen, wie wichtig Licht f¸r die psychische Stabilitt und das Wohlbefinden eines Menschen sei, erklrt Keller. Mit Helioflex lieþe sich etwa das "Arbeitslosensyndrom" - Lustlosigkeit und stndiges Schlafbed¸rfnis - bekmpfen. Die wissenschaftliche Fundierung seiner Erfindung ist ihm wichtig. "Das hat nichts mit Esoterik zu tun."

 

Die Sat-Sch¸ssel ist f¸r Keller nicht nur g¸nstiges Bauelement, sondern eine "sthetische Parallele" zum Sonnenspiegel. "Beide Konstruktionen schaffen eine Verbindung nach auþen. Das Kerkergef¸hl geht weg." Keller mchte, daþ sich auch Sozialhilfeempfnger seinen Sonnenspiegel leisten knnen. Im Baumarkt sollte das Gert als Selbstbausatz f¸r wenige hundert Mark zu haben sein.

 

Bis dahin ist noch ein weiter Weg. Auf dem Dach der Auguststraþe 91 steht bisher nur ein Prototyp. Mit Hilfe von Studenten der TU werden noch in diesem Jahr vier weitere Spiegel installiert, einer davon soll in einem sanierten Altbau in der Kastanienallee 77 in Prenzlauer Berg Sonnenstrahlen durch vier Stockwerke schicken. Seit ein paar Wochen erreichen Keller regelmþig SOS-Briefe von verschatteten Hausbewohnern. F¸r einen Flchenversuch mit hundert Spiegeln im Rahmen der Expo 2000 verhandelt der Erfinder derzeit mit der Senatsverwaltung. Insgesamt 150000 Standorte sind in Berlin nach seinen Angaben sonnenspiegeltauglich.

 

Mit Marketing und Produktion mchte Keller allerdings nichts mehr zu tun haben. Um sich wieder strker seinen k¸nstlerischen Projekten widmen zu knnen, sucht er dringend nach einem Trger. "Das ist ein soziales und stdtebauliches Projekt. Damit knnten sich doch Politiker hervorragend schm¸cken." DIE SONNE bringt gute Laune in den tiefsten Hinterhof - wenn auf dem Dach ein Spiegel von Christoph Keller montiert ist: der Erfinder auf dem Haus Auguststraþe 91. Foto: Uwe Steinert WER HIER DEPRESSIONEN BEKOMMT, braucht sich nicht zu wundern. So d¸ster, so trist - hier kann ein Sonnenspiegel helfen. Foto: Peter Homann/Gegendruck


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