PRESSESPIEGEL

 

"Die Zeit", Modernes Leben 9. Februar 1999

 

Mehr Licht!

Ein Platz an der Sonne, jetzt auch in dunklen Hinterhöfen - der Spiegel eines Berliner Erfinders macht es möglich.

Von Bernd Klose

 

An diesem strahlend blauen Januarnachmittag

bleibt es finster in weiten Teilen Berlins. Das

hat Tradition - Hauptstadt hin, Weltstadt her.

Auch der Hinterhof in der Auguststraße 91, im

Bezirk Mitte, hat die Bezeichnung "Hof" noch nie

wirklich verdient. Er ist ein kühles,

schummriges Loch, zwanzig Meter lang, fünf Meter

breit und zwanzig Meter tief. Wie viele

Hinterhöfe im Osten Berlins und anderswo hat er

den Krieg überstanden und den Sozialismus

überlebt. Inzwischen sind die Hausfassaden

renoviert, im Erdgeschoß, ganz hinten, ist eine

Galerie eingezogen. Und trotzdem ist dieser

Hinterhof immer noch ein Loch.

Das Ende der jahrzehntelangen Finsternis steht

auf dem Dach des Nachbarhauses: Ein runder

Spiegel von 70 Zentimetern Durchmesser wirft ein

Bündel Sonnenlicht in das große

Stahlrahmenfenster der Galerie, hinter dem

früher eine kleine Likörfabrik vor sich

hindämmerte. Nun scheint der Ort wie

verwandelt: Aus dem schummrigen Eckchen für

Kleingewerbe ist eine schicke Adresse mit

Panoramafenster geworden. Zur Zeit nutzt der

schweizer Künstler Ugo Rondinone die neue

Helligkeit in der Auguststraße 91. Er teilt den

Galerieraum mit einer weißgestrichenen

Bretterwand; vorne entlarvt das harte Tageslicht

die grobe Struktur der lückenhaften Fassade,

dahinter gaukeln farbige Theaterscheinwerfer dem

Besucher eine geheimnisvolle Kunstwelt vor.

Der Sonnenspiegel auf dem Nachbardach, der all

dies plötzlich möglich macht, ist der erste

seiner Art. Eine ausgeklügelte Mechanik dreht

die Spiegelfläche immer wieder der Sonne

hinterher, und so bleibt der Lichtfleck den

ganzen Tag lang am Fenster der Galerie. Nachts

richtet sich der Spiegel mit eigener Kraft

Richtung Osten aus und erwartet dort die

aufgehende Sonne. Dann beginnt das Spiel von

neuem. Christoph Keller, ein Künstler, hat den

Sonnenspiegel entworfen und gebaut. Es ist

bereits die zweite Erfindung, die sich der

31jährige patentieren lies: Vor einigen Jahren

hatte er bereits eine Kamera konstruiert, bei

der der Film hinter dem offenen Objektiv

vorbeigezogen wird. Es entsteht eine

eigentümliche Art Panoramabild: Bewegtes scheint

einzufrieren, Unbewegtes verwischt dagegen auf

den Bildern zu langen gleichmäßigen Streifen.

Auch der Sonnenspiegel ist für Keller in erster

Linie ein Kunstwerk. Er nennt es eine "urbane

Utopie" und verfolgt damit eher eine

gesellschaftliche Idee als eine Geschäftsidee.

Durch Licht und Schatten entstehe ein soziales

Gefälle in der Stadt, sagt der Künstler. "In der

Großstadt ist es einfach so, daß jeder, der

Sonne in seiner Wohnung hat, sie einem anderen

wegnimmt. Und im Schatten entsteht ein

Kerkergefühl, Unbehagen und schließlich

Lethargie. Mit dem Spiegel versuche ich, diese

architektonische Logik zu umgehen, und mit dem

Licht gleichzeitig eine Verbindung zum Außen in

diese dunklen Wohnungen zu reflektieren."

Nun wünscht sich der Erfinder eine möglichst

massenhafte Verbreitung seiner richtig

funktionierenden Kunst. "Ein solcher Spiegel

müßte vor allem für arme Menschen erschwinglich

sein, denn genau die wohnen in den Hinterhöfen

ganz unten", sagt Christoph Keller. Eine

Baumarkt-Version des Sonnenspiegels hält er für

weit unter 500 Mark durchaus für machbar. Das

könnte dann vielen Berliner Hinterhof-Löchern

ihren Schatten nehmen. Doch als Einzelkämpfer

kann er nicht alle Interessenten mit

selbstgebauten Spiegeln versorgen, und einen

Hersteller für den Spiegel mit Namen "helioflex"

gibt es bisher noch nicht.

Die Idee für das revolutionäre Gerät kam Keller

schon vor einigen Jahren, als er noch Hydrologie

studierte. Vom sozialen Gefälle zwischen Licht

und Schatten war er damals selbst betroffen, er

wohnte in einem Berliner Zimmer, mit Blick in

Richtung Norden, auf eine Brandmauer. Und er

wollte an die Sonne.

Als Konstruktionsbasis für die Licht-Maschine

benutzte er schließlich eine handelsübliche

Satellitenschüssel, vorne drauf wird eine

verspiegelte Plexiglasscheibe montiert. Durch

vier Flügelschrauben läßt sich das Plexiglas

stärker oder schwächer krümmen, dadurch erhält

der Lichtfleck die gewünschte Größe. Einmal

eingerichtet, funktioniert der Sonnenspiegel

wartungsfrei und übersteht auch starke

Herbststürme ohne Schaden. Daß der helioflex-

Sonnenspiegel immer noch große Ähnlichkeit zu

einer Satellitenschüssel hat, ficht den Ästheten

nicht an: "Viele Leute halten diese Schüsseln

für häßlich - für mich sind sie eine der

interessantesten architektonischen Entwicklungen

der letzten Jahre", sagt Christoph Keller. "Sie

sind aus dem Bedürfnis der Leute gewachsen wie

kaum ein anderes Bauelement. Und von der

Hauswand aus gucken sie alle in die gleiche

Richtung, zeigen, daß dort Leute wohnen und daß

sie die Verbindung nach außen suchen." Und

ebensogut wie mit Fernsehbildern von draußen

könne man die Leute ja auch mit Sonnenlicht

versorgen.

Als nächstes sollen vier weitere Sonnenspiegel

versuchsweise aufgestellt werden, einer dient

auf dem Dach der Technischen Universität Berlin

Ingenieurstudenten als Versuchsobjekt, ein

anderer soll in einem sanierten Altbau alle

Stockwerke bis zum Erdgeschoß mit einem

Lichtstrahl durchleuchten. Und auch der nächste

Schritt ist schon angedacht: Keller möchte zur

EXPO 2000 hundert sonnige Lichtflecken überall

in die Berliner Innenstadt zaubern und sucht für

das Projekt nach politischer Unterstützung. Die

dunkle, klamme Hinterhoftradition nähert sich

ihrem Ende.

 

Rainer Klose(123 Zeilen)

 

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